11 FREUNDE – Magazin für Fußballkultur
Das Magazin für Fußballkultur 11 FREUNDE hat am 23. November 2013 in Berlin den Preis „Gegen Vergessen – Für Demokratie“ erhalten. Damit zeichnet die gleichnamige Vereinigung die vorbildliche redaktionelle Arbeit des Magazins aus, in der die Berichterstattung über rassistische und rechtsextreme Tendenzen in Fan- und Fußballkultur selbstverständlicher Bestandteil ist.
Der Laudator, Tagesspiegel-Chefredakteur Lorenz Maroldt, sagte am Sonntag in den Räumen der Stiftung Topographie des Terrors: „Es gibt eine Tendenz der Rückkehr von Nazis in die Stadien. Viele Fußballfans sind fassungslos, doch immer weniger tun etwas dagegen. Oft wissen diese Fans nicht, wie viele noch auf ihrer Seite sind. 11 FEUNDE zeigt es ihnen.“ Seit ihrer Gründung im Jahr 2000 lege die Zeitschrift durch gründliche Recherchen in ganz Europa und von der ersten Liga bis in die Kreisklasse den Finger dorthin, wo es wehtut. Maroldt: „Die Redakteure tun dies nicht plakativ, nicht alarmistisch, nicht pädagogisch, sondern gründlich analytisch, vorbildlich.“
Phillipp Köster, Chefredakteur von 11 FREUNDE , bekräftigte den Anspruch des Magazins, einen Blickwinkel „aus der Kurve“ zu bieten, ohne ständig vorzugeben, was böse und gut sei. Köster kündigte an, mithilfe des Preisgeldes in Höhe von 7500 Euro und der Unterstützung der DFB-Kulturstiftung ein neues Lexikon herausgeben zu wollen. Köster: „Darin werden Sportler und Funktionäre gewürdigt, die im Nationalsozialismus ab 1933 aus den Vereinen verdrängt wurden.“
Lorenz Maroldt: Laudatio auf 11 FREUNDE – Magazin für Fußballkultur
„Das Simon-Wiesenthal-Center veröffentlicht regelmäßig eine Liste der zehn schlimmsten antisemitischen Äußerungen weltweit. Auf dem neunten Platz dieser Liste war in diesem Jahr ein deutscher Publizist gelandet, die Diskussion darüber wurde lange und heftig geführt. Darüber ist allerdings ziemlich außer Acht geraten, wer auf dem vierten Platz stand: Der Antisemitismus europäischer Fußballfans. In der Begründung heißt es, „das Problem antisemitischer Schmähungen bei Fußballspielen, das bis vor kurzem auf Osteuropa beschränkt schien, lebt auch in Westeuropa wieder auf.“
Tatsächlich hat es in diesem Jahr eine Rückkehr der Nazis in die Stadien gegeben, gerade auch in Deutschland. In Aachen, Braunschweig und anderswo wurden die eher antifaschistisch gesinnten Ultra-Gruppen von Rechtsextremisten und verbündeten Hooligans regelrecht aus den Stadion geprügelt. In den Jahren zuvor war es oft andersherum. So zwangen zum Beispiel Mitglieder der Kölner Ultra-Gruppe Wilde Horde bei einem Auswärtspiel in Aue eine Gruppe von Jungnazis, sich bis auf die Unterhose auszuziehen, und trieben sie dann aus dem Block. Heute ist es vielerorts andersherum. In München bei 1860 und in Dortmund beim BVB und in etlichen anderen Städten marschieren inzwischen wieder bekannte Neonazis durch die Reihen, manche zeigen sogar den Hitlergruß. Viele Fans sind fassungslos, weil sie dachten, die Zeit der Urwaldschreie und Bananenwürfe, der schwulenfeindlichen und antisemitischen Gesänge in den Stadien sei vorbei. Aber immer weniger trauen sich, dagegen vorzugehen, weil mit den Nazis auch die Hooligans in die Stadien zurückgekehrt sind.
Als ein gravierendes Beispiel für den Antisemitismus von Fußballfans nennt das Simon-Wiesenthal-Center die Vorgänge rund um den Londoner Verein Tottenham Hotspur. Der Club ist in einem traditionell jüdischen Teil Londons beheimatet, die Fans nennen sich Yid Army, auf den Tribünen sind israelische Fahnen zu sehen. Von Anhängern anderer Vereine werden Fans und Spieler von Tottenham auf übelste Weise antisemitisch beschimpft, nicht selten sind Zischlaute zu hören, eine Anspielung auf das Gas in den Vernichtungslagern der Nazis.
In unmittelbarer Nachbarschaft von Tottenham ist die Heimat von Arsenal London. Die Derbys sind Höhepunkte der Saison. Und manchmal auch Tiefpunkte. Im vergangenen Jahr hat der englische Fußballverband den jungen Arsenal-Spieler Emanuel Frimpong wegen einer antisemtischen Äußerung zu einer Geldstrafe verurteilt. Frimpong, ein Engländer ghanaischer Herkunft, hatte einen Tottenham-Fan über Twitter als „scum yid“ bezeichnet, also als jüdischen Abschaum. Interessant ist zum einen, was der Sache vorausging, und andererseits, wie sich Frimpong zu erklären versuchte. Der Tottenham-Fan hatte zuvor getwittert, er bete dafür, dass sich Frimpong Arme und Beine breche. Frimpong wiederum verteidigte sich damit, er habe nicht einmal gewusst, dass das Wort eine Beleidigung ist, weil es ständig überall zu hören sei. Tatsächlich bezeichnen sich manche Tottenham-Fans selbst als „scum yid“, so wie sich Schalker Fans in einer Mischung aus Ironie, Stolz und Provokation zuweilen selbst als „Ruhrpottkanacken“ feiern. Frimpong fügte am Ende seines Entschuldigungs-Tweets hinzu: Man lebt und lernt von seinen Fehlern.
Der Vorfall ist tatsächlich exemplarisch, denn er zeigt zweierlei: Die Grenze zwischen erträglicher Sprücheklopferei und menschenverachtenden, diskriminierenden oder abwertenden Beschimpfungen ist nicht jedem klar und muss deshalb unmissverständlich klar gemacht werden, gerade im Zusammenhang mit Fußball. Zweitens, antisemitische und rassistische, homophobe und andere diskriminierende Äußerungen fallen nicht nur auf den Rängen, sondern auch auf dem Rasen, was wegen der Idolisierung von Spielern auf ihre Fans wie ein Verstärker wirkt. Ein aktuelles Beispiel ist die faschistische Parole, die der kroatische Spieler Josip Simunic, lange bei Hertha, nach der WM-Qualifikation ins Stadionmikrofon brüllte. Er ist nicht allein, solche Vorfälle kommen immer wieder vor. Wenn ein Stürmer vom Torwart der Gegenmannschaft als „schwarzes Schwein“ beschimpft wird, wie es in er Bundesliga passiert ist, darf man sich nicht wundern, wenn die Fans des Torwarts rufen: „Hau den Neger weg“.
Fans werden, zu recht, für rassistische Äußerungen mit einem langen Stadionverbot bestraft, wenn sie erwischt werden. Spieler kommen oft mit einer Geldstrafe davon, wie Simunic. 3200 Euro muss er zahlen, das ist nicht mal die Hälfte seines letzten Tagesgehalts. Oder es gibt eine kurze Sperre, begleitet von verständnisvollen Worten des Trainers. Und zuweilen ist so ein Trainer, wie Paolo DiCanio, der frühere Stürmer von Lazio Rom, sogar bekennender Faschist. In Italien sind die Zustände in den Stadien verheerend. Die Fankurven sind fest in der Hand von Rechtsextremisten, überall sind Symbole der SS zu sehen und vom Ku-Klux-Clan. Wie schlimm es ist, hat Kevin Prince Boateng, der die ständigen Schmähungen nicht mehr ertragen hat, mit seinem spektakulären Abgang deutlich gemacht. Ein wichtiges Zeichen, wenn auch kein unumstrittenes. DiCanio hat Tore früher schon mal mit dem Führergruß gefeiert, und auf seinen rechten Oberarm hat er das Wort „DUX“ tätowiert. Heute hält er sich allerdings mit politischen Äußerungen zurück.
Das mag auch daran liegen, dass in England, wo DiCanio als Trainer vom AFC Sunderland engagiert worden war, der Verband inzwischen härter durchgreift. Bemerkenswert ist der Fall des Liverpooler Stürmers Luis Suarez. Wegen rassistischer Beleidigung seines Gegenspielers Patrice Evra von Manchester United wurde er in der vergangenen Saison für acht Spiele gesperrt. Suarez hatte Evra mehrfach mit dem spanischen Wort „negro“ bezeichnet. Evra blieb dagegen ohne Strafe blieb, obwohl er die Entschuldigung von Suarez mit den Worten abwehrte: „Fass mich nicht an, du Südamerikaner“. Das war durchaus ebenfalls als Beleidigung zu verstehen. Und nicht unumstritten, aber folgenreich war die Reaktion des englischen Verbandes auf Rassismusvorwürfe gegen den Chelsea-Spieler John Terry: Die FA setzte ihn als Kapitän der Nationalmannschaft ab.
Manche werten das verhältnismäßig harte Durchgreifen des englischen Verbandes als Konter gegen den auf der Insel unbeliebten Fifa-Chef Sepp Blatter. Der hatte allen Ernstes erklärt, es gebe überhaupt keinen Rassismus im Fußball, allenfalls mal das eine oder andere „nicht ganz korrekte Wort“.
Zuweilen sieht es so aus, als versuchten die Verbände und Vereine tatsächlich, das Problem lieber durch Nichtbeachtung zu erledigen. Typische Reaktionen auf rassistische, antisemitische, diskriminierende Vorfälle, auch hierzulande, hören sich oft so an: Das sind doch nur 30 Leute von 30.000, das gibt es doch nicht nur bei uns, das wird doch alles aufgebauscht von den Medien. Dazu passt auch der Trend, in Deutschland, aber auch in England, die Stadien komplett zu entpolitisieren, mit der Begründung, man wolle jegliche Provokation vermeiden. So soll in London den Tottenham-Fans verboten werden, sich selbst als Juden zu bezeichnen und Israel-Fahnen mit zum Spiel zu bringen, und in Deutschland versuchen einige Vereine ausgerechnet jene Fangruppen aus den Stadien zu drängen, die offen gegen diskriminierendes Verhalten auftreten. So hat beispielsweise Fortuna Köln auch antirassistische Plakate im Stadion verboten. In der Logik der Funktionäre ziehen solche Statements die Rassisten erst an. Ein perfides, ja gefährliches Argument, das sich die Nazis längst zu eigen gemacht haben. Sie werben so zynisch wie offen dafür, die Politik aus den Stadien herauszuhalten, und die Vereine behaupten anschließend, sie könnten nichts gegen deren Stadionbesuch tun. Dabei droht völlig unterzugehen, dass diese Leute damit begonnen haben, die Fanblocks zurückzuerobern, also einen rechten Mainstream durchzusetzen – und dass nicht politische Äußerungen das Problem sind, sondern menschenverachtende Verhaltensweisen.
Das Magazin 11 Freunde beschäftigt sich seit seiner Gründung mit Themen wie den genannten, mit Rassismus, Diskriminierung und rechter Gewalt im Fußball. Nicht plakativ, nicht demonstrativ, nicht situativ, nicht kurzatmig alarmistisch und erst recht nicht pädagogisch. Sondern ernsthaft, kontinuierlich, analysierend, vorbildlich. Die Redakteure und Autoren recherchieren gründlich und direkt, in die örtliche Breite wie auch in die sachliche Tiefe, bis weit nach Odessa am Schwarzen Meer und tief hinunter in die Dorfplatzliga. Sie gehen, wenn es sein muss, dahin, wo es wehtut, um alles zu erfahren und nicht nur einen Anschein, einen schnellen Eindruck wiederzugeben. Sie setzen ihre Recherchen in einen zeitlichen und gesellschaftlichen Bezug und verleihen ihrer Arbeit somit eine Tiefe, die nicht selbstverständlich ist.
Das aktuelle Heft ist dafür ein gutes Beispiel. Wer meint, über die gefährlichen Vorgänge bei Eintracht Braunschweig schon alles gelesen zu haben und mithin alles zu wissen, wird hier auf eine andere Erkenntnisebene geführt. Völlig frei von Klischees und unvoreingenommen berichten die Autoren über die Ergebnisse ihrer intensiven Recherche. Am Ende steht nicht ein schnelles Urteil, sondern das nachdenklich stimmende Fazit: „Eine Kultur des Vermittelns wurde über Jahre verpasst.“
Das exakte Gegenteil lässt sich über die 11 Freunde sagen. Wer durch die Hefte der vergangenen Jahre geht, bis zurück zur Gründung, sieht, dass sich das Thema Rassismus und rechte Gewalt im Sport wie ein brauner Faden durch die Hefte zieht. Nicht dominant, aber stets präsent. Die Redaktion hat in viele Länder geschaut und auch weit zurück in der Geschichte, nicht nur der deutschen, auch der südafrikanischen zum Beispiel, hat mit betroffenen Spielern wie Otto Addo und Souleyman Sane darüber gesprochen, wie man es aushält, wenn im Stadion minutenlang „Neger raus!“ gerufen wird, hat auf die Tribünen der vermeintlich feineren Gesellschaft geschaut, wo Rassismus zuweilen zum guten Ton gehört, und war immer auf der Spur zwischen spontaner Eruption und tief sitzender Ressentiments.
In einem der ersten Artikel über rechte Gewalt in Italienischen Stadien, erschienen 2001, wurde Giacomo Ferrara zitiert, ein Fan von Hellas Verona. Er sagte: „Es kann nicht sein, dass wenige hundert Fans ein ganzes Stadion terrorisieren.“ So denken viele im Stadion. Sie wissen oft nur nicht genau, wie viele sie sind. Die 11 Freunde zeigen es ihnen. Sie haben sich selbst eine gesellschaftliche Verantwortung übertragen, und sie sind ihr besser gerecht geworden als so mancher Funktionär. Geholfen hat dabei die Glaubwürdigkeit, die sich durch die spürbare Leidenschaft und den enormen Kenntnisreichtum jedem vermittelt, der das Magazin liest. Auf jeder Titelseite steht, klein: Magazin für Fußballkultur. Dort steht nicht: Magazin gegen Rassismus im Fußball. Und so missionarisch hätte das Magazin auch nie eine Chance gehabt. Erst aus der Beschäftigung mit allen Aspekten der Fußballkultur ergibt sich die Selbstverständlichkeit, über die Jahre hinweg glaubwürdig auch über Rassismus zu berichten. Was sich dabei herausgebildet hat, ist ein Common Sense, der lange nicht selbstverständlich war: Wer Fußball liebt, wie die 11 Freunde ihn lieben, kann niemals andere Menschen wegen ihrer Religion, ihre Herkunft, ihrer Sexualität verachten.“
Lorenz Maroldt ist Chefredakteur des TAGESSPIEGEL