„Vor der Verfolgung – Lebenslinien“
Eine Wanderausstellung zu regionalen Lebensgeschichten von Verfolgten des NS

Von: Martina Hartmann-Menz
Für den Landkreis Limburg-Weilburg wird mit der Ausstellung: Vor der Verfolgung – LEBENSLINIEN – Menschen aus Hadamar und dem Nassauer Land eine regionalgeschichtliche Lücke gefüllt. Mittel des Vereins der Ehemaligen der Fürst-Johann-Ludwig- Schule Hadamar, der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Limburg und des Vereins „Gegen Vergessen für Demokratie e.V.“ ermöglichen ein Ausstellungsprojekt, das auch in der (schulischen) Bildungsarbeit Verwendung finden und in Zukunft kontinuierlich weiter entwickelt werden wird. Grundlage der Ausstellung sind die zusammengetragenen Ergebnisse langjähriger Forschungstätigkeit. Durch Kontakte zu Nachkommen im In- und Ausland konnte bislang nicht veröffentlichtes Bildmaterial verwendet werden. Dieses bereichert die Ausstellung und lädt zum Hinsehen und Lesen ein. Mittels der Biografien von Willy Aron, Anna Maria Fritz geb. Hahn, Berta-Schoenberg, Frieda-Schoenfrank-Kaiser, Jakob-Mueller und Wilhelm Fritz werden unmittelbar Bezüge zur Schulgeschichte der FJLS hergestellt.
Das Konzept der Ausstellung leitet sich aus dem Titel ab: „Vor der Verfolgung -LEBENSLINIEN“: Viel zu häufig werden die Verfolgten des Nationalsozialismus primär in ihrer Rolle als Opfer gesehen – ein Sachverhalt, der Täterinnen und Tätern unzulässigerweise eine Deutungshoheit über Menschen einräumt, die ausblendet, dass es da noch ein Leben „Vor der Verfolgung“ gab.
Auf diese Aspekte des Lebens richtet sich die Ausstellung, mal mit mehr, mal mit weniger biografischem Material. Der Begriff „Lebenslinien“ deutet dies an. In manchen der biografischen Skizzen kann –häufig verfolgungsbedingt– nur ein kleiner, bruchstückhafter Teil der Biografie erzählt werden. Die einzelnen Ausstellungstafeln sind jeweils einem Menschen gewidmet. Nicht in allen Fällen steht eine Fotografie zur Verfügung. Aber auch die Abbildung eines Hauses, in dem die jeweilige Person lebte, ein Gebäude, das mit dem Menschen in Verbindung steht, ein Gegenstand oder ein Dokument personalisiert den Text und macht Geschichte vor Ort greifbar. Der „Verfolgungshintergrund“, ein Stempel, der den Menschen ohne ihr Einverständnis aufgedrückt wurde, spielt in der Ausstellung eine untergeordnete Bedeutung, ist aber dennoch präsent. Ob es sich um „rassisch“ Verfolgte, um politisch Andersdenkende oder um Menschen handelt, die aufgrund einer Erkrankung in die Mühlen des NS-Regimes gerieten, erfahren die Ausstellungsbesucher:innen erst am Ende der Befassung mit der Ausstellungstafel: Menschen, nicht die Kategorien der Täterinnen und Täter stehen im Mittelpunkt. Ganz besonderen Wert legt die Ausstellung auf einfache Lesbarkeit, verständliche Texte und eine kurze Lesedauer – diese liegt im Mittel bei einer Lesezeit von drei Minuten pro Ausstellungstafel. Zusätzlich zu den Ausstellungstafeln wurden pädagogische Materialien erarbeitet, die eine Vertiefung der Arbeit in und mit der Ausstellung ermöglichen. Auch ein Angebot zur künstlerischen Auseinandersetzung und Reflexion mit den Ausstellungsinhalten wird angeboten.
Zum Holocaust-Gedenktag 2025 wurde die Ausstellung erstmals an der Fürst-Johann-Ludwig-Schule gezeigt. Der Besuch von mindestens 20 Schulklassen im Rahmen des Geschichts-, Ethik- und Religionsunterrichts wurde gezählt. Weiterhin konnte beobachtet werden, dass der „niedrigschwellige“ Ausstellungsort in der Pausenhalle dazu führte, dass eine nicht messbare Zahl von Schülerinnen und Schülern aller Altersgruppen die „Einladung zum Lesen“ gerne annahm und es so auf freiwilliger Basis zur Befassung mit Lebensgeschichten von Menschen aus der Region kam. Die Rückmeldungen der begleitenden Lehrkräfte bezogen sich insbesondere auf den „lokalen Wiedererkennungseffekt“ der Biografien als Ergänzung zu den Inhalten der Arbeit im Unterricht. Es mache einen Unterschied, wenn bekannte Häuser und/oder Straßenzüge aus dem Umfeld von Schülerinnen und Schülern in einer Ausstellung in Verbindung mit dem Leben von Verfolgten des Nationalsozialismus abgebildet seien. So wurde ein unmittelbarer Bezug zu der unsere Gesellschaft nach wie vor prägende historische Epoche der NS-Zeit geschaffen, die Schülerinnen und Schüler sonst nur aus dem Schulbuch kennen: Geschichte werde so lokal und mit Bezug zur Fürst-Johann-Ludwig-Schule personell und lokal greifbar.
Kurz nach der ersten Präsentation machte die dann bereits erweiterte Ausstellung in der Mittelpunktschule St. Blasius in Frickhofen ab Mitte März 2025 Station. Anlässlich der Verlegung von Stolpersteinen in Dornburg konnten sich die beteiligten Schülerinnen und Schüler durch die Arbeit in und mit der Ausstellung auf die Stolpersteinverlegung vorbereiten. Eigens für die Station in Frickhofen wurden weitere vier biografische Ausstellungstafeln erarbeitet. Diese wurden dann auch an den jeweiligen Verlegeorten aufgestellt und gaben der Veranstaltung einen würdigen Rahmen. Insbesondere die aus den USA angereisten Angehörigen der Familie Löwenstein waren sehr erfreut, dass der Lebensweg ihrer Großmutter Ruth Löwenstein verh. Siegelbaum (1912-2008) Eingang in die Ausstellung gefunden hatte. Im Jahr 2027 wird die Ausstellung auf Anfrage des Landkreises Limburg-Weilburg im Kreishaus an der Schiede gezeigt werden.